Wenn das nur so einfach wäre. Die moderne Medienwelt ermöglicht es uns inzwischen, fast zu jedem Thema des Lebens Informationen aus aller Welt zu holen und auch selber sich dazu zu äußern. Weltweit sind wir über das Internet verbunden, zu jeder Tages- und Nachtzeit, weltweit dadurch aber auch jeder Öffentlichkeit preisgegeben. So verlockend und einladend dies einerseits erscheint, seiner Meinung Gehör zu verschaffen, so gefährlich ist es auf der anderen Seite. Denn wir sind damit auch weltweit angreifbar in unseren Gedanken und unseren Überzeugungen. Die Welt ist kein sicherer Raum, in dem wir uns auf den Schutz der Privatsphäre und eigenen Individualität berufen könnten. Wer dies glaubt, übersieht, dass es keine Instanz in dieser Welt gibt, die diesen Schutz gewährleisten könnte. Also müssen wir uns selber schützen. Entweder indem wir uns zurückziehen, uns von vorneherein gar nicht am Marktgeschehen der Meinungen beteiligen oder uns hinter Positionen verstecken, die uns am wenigsten gefährlich werden können.
Davon reden, wovon man im Glauben überzeugt ist. Das ist auch in unserer Alltagswelt oft ein Problem. Wann sage ich was, zu dem, wovon ich überzeugt bin? Warum schweige ich, wo ich eigentlich reden müsste? Was hindert mich, zu meiner Überzeugung zu stehen – am Arbeitsplatz, im Bekannten- oder Freundeskreis, oder auch in der Öffentlichkeit?
„Fürchte dich nicht! Rede nur, schweige nicht!“ (Apg 18,9)
Das Jahresthema, das vom Programmteam der action 365 für dieses Jahr erarbeitet wurde, will ermutigen, gerade in der heutigen Zeit, in der so viele über alle mögliche Themen des Lebens, auch über den Glauben und die Überzeugungen von Menschen zu reden, mit der eigenen Überzeugung als Christin und Christ nicht zurückzuhalten.
„Fürchte dich nicht! Rede nur, schweige nicht!“ - Dieser Satz wird Paulus in einer Vision zugesprochen, als er in Korinth die Botschaft seines Glaubens, dass Jesus der Sohn Gottes ist, öffentlich verkünden will. Er erntet dafür von Mitgliedern der dortigen jüdischen Gemeinde Ablehnung und Lästerungen. Dies verärgert und enttäuscht ihn offensichtlich derart, dass er sich von da an nur noch den Heiden zuwenden will. Da ermutigt ihn die Stimme in der Vision: Fürchte dich nicht, es kann dir nichts geschehen, denn ich bin bei dir.
Es gibt verschieden Gründe, die uns hindern zu reden, wo wir den Mund aufmachen sollten, und zu schweigen, wo wir uns eher zurückhalten sollten. Ängstlichkeit ist ein Grund. Wir haben Angst vor Widerspruch, Angst plötzlich nicht mehr konform zu sein, alleine da zustehen mit der eigenen Überzeugung, nicht mehr dazugehören zu dürfen, der Lächerlichkeit preisgegeben zu sein, als Spinner abgetan zu werden. Manchmal fürchten wir uns auch vor Argumenten, denen wir eventuell nicht gewachsen sind.
Auch Drohgebärden können Anlass sein, sich mit der eigenen Meinung zurückzuhalten. Wir leben alle in bestimmten Abhängigkeiten und Beziehungen und wollen diese natürlich nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Eine Meinung, die evtl. Vorgesetzen nicht genehm ist, öffentlich zu äußern, könnte Nachteile im Beruf und im Ansehen bringen.
Ein anderer Grund kann in Resignation liegen. Wir empfinden uns als zu wenig wichtig. Wir denken, unsere Meinung zählt doch eh nicht, die „Oberen“ machen doch eh was sie wollen. Die Fäden des Lebens haben doch eh andere in der Hand, was kann ich als kleines Rädchen im Getriebe dieses Lebens schon ausrichten? Und bevor wir uns als Wichtigtuerinnen oder Wichtigtuer lächerlich machen, verbergen wir lieber unsere Meinung und schweigen.
„Fürchte dich nicht! Rede nur, schweige nicht!“ Die Stimme der Vision ermutigt Paulus, trotz allem, was dagegen sprechen könnte, trotz aller Lästerungen, aller Lähmung durch Resignation, trotz aller Furcht vor negativen Konsequenzen, davon zu reden, wovon er überzeugt ist: sein Glaube an den Jesus von Nazareth, der für ihn der Sohn Gottes ist. Die Ermutigung ist dabei nicht leichtfertig als oberflächliche Beruhigung gemeint. Sie ist vielmehr tief begründet in Gott selbst, der ihm zusagt: dir wird nichts geschehen, denn ich bin bei dir. Es ist die gleiche Ermutigung, die Gott dem Mose gibt, als dieser den Auftrag erhält, das Volk aus der Gefangenschaft in Ägypten herauszuführen: durch den brennenden Dornbusch gibt Gott dem Mose seinen Namen preis: Ich bin, der ich bin (Ex 3,14). Gott ist da für uns, wo immer wir ihm mit ganzem Herzen Vertrauen.
Wer an die Botschaft von Jesus als dem Sohn Gottes glaubt, weiß auch um die Konsequenzen, die diese Botschaft für jeden Menschen hat. Es geht dabei um die Achtung und die Würde und die Freiheit jedes einzelnen Menschen, um die bedingungslose Liebe, die niemanden ausschließt, die jedem Menschen von Gott zugesagt ist, auch dem, der andere Erfahrungen und eine andere Meinung hat, als ich sie habe. Wer für diese Botschaft und damit für Menschen eintritt, die nicht danach behandelt werden, darf darauf bauen, dass er nicht alleine dastehen wird, denn der Gott, der in Jesus Mensch geworden ist und durch seinen Geist in jedem Menschen lebt, ist da gerade auch in anderen Menschen, die diesen Geist in sich spüren. Weil es eine Botschaft ist, die jeden Mensch angeht, werden sich immer auch welche finden, die sie verstehen und hinter ihr stehen.
Es braucht mutige Menschen, die offen und öffentlich von der Liebe sprechen, die Gott uns in Jesus geoffenbart hat, und die Menschen finden können, wo immer sie danach suchen. Es braucht mutige Menschen, die sich einsetzten für die wahre Menschlichkeit, so wie Gott sie uns in Jesus geoffenbart hat, gerade in dieser jetzigen Zeit und Welt, in der der Mensch immer mehr zu einem Spielball unterschiedlichster Meinungen und Vorstellungen gemacht wird. Es braucht mutige Menschen, die sich trauen, sich den menschenverachtenden Shitstorms und die Wahrheit verdrehenden Fake-News entgegenzustellen.
Worte sind sicher nicht alles. Aber Worte haben Macht, sie beeinflussen unsere Meinung und unsere Haltungen zum Leben und auch zu anderen Menschen. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit unserer Überzeugung als Christinnen und Christen nicht zurückhalten und uns beteiligen an der Meinungsbildung über die grundlegenden Fragen unseres Menschseins. Die Meinungen, nämlich die unser Denken und unsere Haltung formen, bestimmen letztlich unseren Umgang miteinander, mit der Schöpfung, mit dem Leben überhaupt.
Deshalb fürchte dich nicht, liebe Christin, lieber Christ, rede von deiner christlichen Überzeugung, dass Gott jeden Menschen liebt und uns dafür geschaffen hat, dass wir mit einander und füreinander leben. Rede überall dort, wo du gefragt bist, aber auch dort, wo du erlebst und merkst, dass die Würde von Menschen missachtet wird. Öffne deinen Mund und sei gewiss, es wird dir nichts geschehen, denn ich, dein Gott bin bei dir.
Stephan Neufanger